ISER

Orientierungshilfe Werkstoffauswahl


Die Gebrauchs- und Verarbeitungseigenschaften der nichtrostenden Stähle werden sowohl direkt über die zugeführten Legierungselemente als auch durch den sich aus der jeweiligen Legierungszusammensetzung einstellenden Gefügeaufbau bestimmt.

Die Substitution einer Werkstoffsorte sollte immer anwendungsbezogen erfolgen und genauestens abgewogen werden. Eine selektive Betrachtung einzelner Eigenschaften einer als Ersatz angedachten Sorte könnte zu weitreichenden Problemen, Qualitätsverlusten und hohen Kosten führen. 

  • Grundlage Gefügestruktur

    Während reines Eisen bei Raumtemperatur nur kubisch-raumzentriert (Ferrit) vorliegt und der kubisch-flächenzentrierte Austenitkristall nur bei höheren Temperaturen vorkommt, können höher legierte Stähle und damit auch die nichtrostende korrosionsbeständigen Stähle bei Raumtemperatur abhängig von der Legierungszusammensetzung und der Wärmebehandlung sowohl mit austenitischem als auch ferritischem Gefüge vorliegen sowie einer Mischung aus beiden. Durch eine gezielte Wärmebehandlung kann darüber hinaus noch ein tetragonal-verzerrtes kubisch-raumzentriertes Kristallgefüge eingestellt werden, das als Martensit bezeichnet wird.

    Die nichtrostenden Stähle werden entsprechend dieser Gefügezustände in:

    • ferritische (Cr), 
    • martensitische (Cr, C/Ni),
    • austenitische (Cr, Ni, Mo, evtl. Mn, N) und
    • austenitisch-ferritische (Cr, Ni, Mo, N)

    nichtrostende Stähle eingeteilt. In den Klammern sind die Hauptlegierungsbestandteile dieser vier Gruppen aufgeführt. Weiterführende Informationen sind in den Merkblättern 803 und 821 zu finden.

    Den oben genannten vier Hauptgruppen der nichtrostenden korrosionsbeständigen Stähle können typische, kennzeichnende Werkstoffeigenschaften zugeordnet werden. So zeichnen sich z.B. die austenitischen Sorten durch ein besonders gutes Umformvermögen aus, während die austenitisch-ferritischen Stähle (Duplex-Stähle) höhere Festigkeiten erreichen. Durch gezielte Veränderung der Legierungszusammensetzungen können Werkstoffe erzeugt werden, die auch über die Grenzen der Hauptgruppen hinweg vergleichbar ausgeprägte Eigenschaften besitzen. Das gilt meist aber nur für einzelne, ausgewählte Eigenschaften und nicht für mehrere gleichzeitig. Aus diesem Grund sollte ein Wechsel zu einer anderen Werkstoffsorte, um beispielsweise ein teures Legierungselement zu vermeiden, nicht ohne genaue Prüfung der Folgen für den bestehenden Anwendungsbereich vorgenommen werden. Denn meist geht es um eines der Hauptlegierungselemente (mit Ausnahme von Chrom), das verändert werden soll, und somit um einen möglichen Wechsel in eine andere Hauptgruppe der nichtrostenden Stähle.

Die individuellen Eigenschaften der Stahlsorten werden vielfach in „Stärken“ und „Schwächen“ eingeteilt. Diese Bewertung sollte aber immer nur mit Blick auf den Einsatzbereich vorgenommen werden und keinesfalls einer allgemeinen Beurteilung zu Grunde liegen. Die Ausprägung einer Eigenschaft kann in einem Anwendungsfall als besonders hilfreich gelten, während sie in einem anderen Fall den Einsatz der Sorte unmöglich macht. Beispielsweise ist für viele Anwendungen eine hohe Festigkeit wichtig, wohingegen das meistens damit einhergehende geringere Umformvermögen weniger von Bedeutung ist. Für andere Anwendungen wiederum kann die hohe Festigkeit eher von Nachteil sein, wenn großes Umformvermögen benötigt wird (hohe Umformkräfte, geringes Ziehvermögen).  

Welche „Schwächen“ bringt ein Werkstoff für den Anwendungsfall mit, der wegen seiner, für den Anwendungsfall zwingend notwendigen „Stärken“ zur Auswahl steht? Inwieweit sind die verschiedenen Eigenschaften der Sorte für die jeweilige Anwendung von Bedeutung? Diese Fragen sollte man sich bei der Entscheidungsfindung stellen.

Die Bewertung folgender sechs Werkstoffeigenschaften erfolgt auf Basis der hinterlegten Informationen:

  • Festigkeit

    Als Kennwert für die Festigkeit wurde die in der Norm DIN EN 10088-2:2014-12 geforderte Mindest-Dehngrenze Rp0,2 gewählt (Zustand C, kaltgewalztes Band, lösungsgeglüht; Ausnahme 1.4501: Zustand P, warmgewalztes Blech, lösungsgeglüht).

  • Umformbarkeit

    Für die Umformbarkeit wurde die in der Norm DIN EN 10088-2:2014-12 geforderte Mindest-Bruchdehnung A80 als Kennwert herangezogen (Zustand C, kaltgewalztes Band, lösungsgeglüht).

  • Korrosionsbeständigkeit

    Eine generelle Quantifizierung der Korrosionsbeständigkeit von nichtrostenden Stählen gestaltet sich schwierig. Im Wesentlichen tritt örtliche Korrosion auf (z.B. Lochkorrosion, Spannungsrisskorrosion, Spaltkorrosion, Interkristalline Korrosion), für die es jedoch keine alles umfassende Kennzahl gibt. Um dennoch eine quantitative Basis für den Vergleich der Stahlsorten zu haben, wurde die Wirksumme herangezogen (englisch Pitting Resistance Equivalent Number PRE oder PREN), die als Maß für die Beständigkeit gegen Loch- und Spaltkorrosion betrachtet wird. Bei der Wirksumme handelt es sich allerdings um eine empirisch gefundene Regel und keinesfalls um eine Gesetzmäßigkeit mit definierten Randbedingungen. Die Berechnung der Wirksumme erfolgte nach der folgenden Formel und gilt für den atmosphärischen Bereich bei nicht erhöhter Temperatur:

    PRE = %Cr + 3,3 x %Mo + (X) x %N

    Dabei wurden für %Cr, %Mo und %N jeweils die arithmetischen Mittelwerte der in DIN EN 10088-1:2014-12 angegebenen Grenzen für die Legierungselemente Chrom (Cr), Molybdän (Mo) und Stickstoff (N) eingesetzt.

    Der Stickstofffaktor X wurde für Sorten mit weniger als 3 % Mo gleich Null gesetzt, für alle anderen Sorten mit 3 % Mo oder mehr gleich 30 und für Duplex-Stähle wurde er mit 16 angesetzt.

  • Wärmeausdehnung

    Für die Eigenschaften Wärmeausdehnung (mittlerer Wärmeausdehnungskoeffizient zwischen 20°C und 100°C) und Wärmeleitfähigkeit wurden die entsprechenden Kennwerte aus der DIN EN 10088-1:2014-12 verwendet.  

  • Wärmeleitfähigkeit

    Für die Eigenschaften Wärmeausdehnung (mittlerer Wärmeausdehnungskoeffizient zwischen 20°C und 100°C) und Wärmeleitfähigkeit wurden die entsprechenden Kennwerte aus der DIN EN 10088-1:2014-12 verwendet.  

  • Schweißeignung

    Eine hohe Schweißeignung bedeutet, dass keinerlei Einschränkungen zu beachten sind während bei einer geringen Schweißeignung das Schweißen nur bedingt unter Beachtung zahlreicher Auflagen möglich ist.

Die nachfolgenden Diagramme sollen eine Hilfestellung bei der Auswahl von Werkstoffen geben, wobei die Gruppe der Martensite nicht betrachtet wird.

Aufgrund der Volatilität der Preise von Legierungselementen kann hier nicht weiter auf Kosten eingegangen werden.

In den „Spinnennetzdiagrammen“ sind die o. g. Werkstoffeigenschaften für die gebräuchlichsten nichtrostenden Stähle mit einem einfachen Notensystem aufgeführt. Die Noten von eins bis fünf zeigen an, ob die jeweilige Eigenschaft im Vergleich der aufgeführten Stahlsorten eher hoch oder gering ausgeprägt ist. Eine Wertung der Eigenschaft sollen und können sie aber nicht darstellen, wie bereits weiter oben im Text mit dem Hinweis auf vermeintliche „Stärken“ und „Schwächen“ erläutert wurde.

Spinnennetzdiagramme

Ferrite

Austenite

Nichtrostende Duplexstähle

In den Diagrammen wird die Kerbschlagarbeit nicht aufgeführt. Da die austenitischen nichtrostenden Stähle auch bei sehr tiefen Temperaturen nicht sprödbruchgefährdet sind, können sie z.B. im Bauwesen bis – 40 °C ohne weiteren Nachweis eingesetzt werden. Ferritische nichtrostende Stähle tendieren dagegen schon bei deutlich höheren Temperaturen zur Versprödung. Im Baubereich muss daher für diese Gruppe mindestens eine Kerbschlagarbeit von 40 J mit ISO-V-Proben bei – 40 °C nachgewiesen werden. Der Nachweis muss gemäß den Angaben in der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung Z-30.3-6  (ISER Sonderdruck 862) geführt werden. Die austenitisch-ferritischen nichtrostenden Stähle liegen aufgrund ihrer Gefügestruktur mit ihrer Kerbschlagzähigkeit und der Lage der Übergangstemperatur zwischen den beiden vorgenannten Gruppen. Ein Nachweis, wie bei den Ferriten, ist im Baubereich ebenfalls zu erbringen.

Einordnung der Werkstoffsorten

Festigkeit über Korrosionsbeständigkeit

Festigkeit über Umformbarkeit

Umformbarkeit über Korrosionsbeständigkeit

Alles im Merkblatt 820

Das Merkblatt 820 beinhaltet auf 12 Seiten alle hier erwähnten Erläuterungen, Spinnennetzdiagramme und Abbildungen

zum kostenfreien Download >>> hier